Peter Bieri: Wie wäre es gebildet zu sein?


„Im Prozess der Bildung geht es nicht nur darum, die Erkenntnis über sich selbst zu
vergrößern. Es geht auch darum, sich in seinem Denken, Fühlen und Wollen zu bewerten, sich mit einem Teil zu identifizieren und sich vom Rest zu distanzieren. Darin
besteht das Schaffen einer seelischen Identität. So meißeln wir eine seelische Skulptur für uns selbst.[…]“

Dieses Zitat stammt aus einer lesenswerten Festrede Peter Bieris aus dem Jahr 2007, die ich gerade wiedergefunden habe. Besonders der Teil „Bildung als Selbstbestimmung“ hat es mir angetan:

„[…]Gestützt auf wachsende Einsicht in die Logik und Dynamik meines seelischen Lebens, lerne ich,
dass Gedanken, Wünsche und Gefühle kein unabwendbares Schicksal sind, sondern
etwas, das man bearbeiten und verändern kann. Ich erfahre, was es heißt, nicht nur
in meinem Tun, sondern auch in meinem Wollen und Erleben selbstbestimmt zu werden. Diese Selbstbestimmung kann nicht darin bestehen, dass ich mich in einer inneren Festung verbarrikadiere, um jeder Beeinflussung durch andere, die das Gift der Fremdbestimmung enthalten könnte, zu entfliehen. Was ich lerne, ist etwas anderes:
zu unterscheiden zwischen einer Beeinflussung, die mich von mir selbst entfremdet,
und einer anderen, die mich freier macht, indem sie mich näher an mich selbst
heranführt. Jede Form von Psychotherapie, die über bloße Konditionierung und
Dekonditionierung hinausgeht, trägt zu dieser Art von innerer Bildung bei.
Selbstbestimmung in diesem Sinne geschieht nicht von einem inneren Hochsitz herunter, von dem aus ich über mein seelisches Geschehen Regie führen könnte. Ich –
das ist nichts anderes als dieses seelische Geschehen selbst. Dass ich über mich
selbst bestimme, kann nur heißen: Es findet ein unaufhörliches Knüpfen, Auflösen
und Neuknüpfen des Netzes aus seelischen Episoden, Zuständen und Dispositionen
statt, das ich bin, ein Entwerfen, Verwerfen und Umbauen meines Selbstbilds, an dem
ich messe, was mir innerlich zustößt. Der Gebildete ist einer, der über seine seelische
Gestalt selbst bestimmt, indem er einen stetigen Prozess erneuter Selbstbewertung
zulässt und die damit verbundene Unsicherheit aushält. Dadurch wird er im emphatischen Sinne ein Subjekt.“

Hier der gesamte Artikel. Klick!

Wie wäre es gebildet zu sein (humanfirst.ch)